Dissonance

Veruneinheitlichende Ideen

Mathias Spahlinger spricht über den Komponisten Hans Wüthrich

Bernd Künzig, Mathias Spahlinger
Bei den Donaueschinger Musiktagen 2009 wurden unter dem Titel doppelt bejaht Etüden für Orchester ohne Dirigenten von Mathias Spahlinger uraufgeführt. Das ungewöhnliche, mehrstündige Werk für ein im Wesentlichen sich nach Spielanweisungen selbst organisierendes Orchester ist dem 1937 im schweizerischen Aesch geborenen Komponisten Hans Wüthrich gewidmet. Und das nicht ohne Grund. Auch er hatte in den 1980er-Jahren mit Netzwerk ein dreiteiliges Orchesterstück vorgelegt, das ohne Dirigenten auskommt. Die fast sprichwörtliche Entmachtung des Dirigenten und die symbolische Befreiung der Orchestermitglieder hatten durchaus einen politischen Hintergrund, der wiederum für einen politisch kritisch denkenden Komponisten wie Spahlinger bis heute ein Modell der Auseinandersetzung ist. Im Mittelpunkt des Werkes von Wüthrich stehen konzeptuelle Überlegungen, die sich mit den Kommunikationsmöglichkeiten von neuer Musik auseinandersetzen. Für den Komponisten Spahlinger ist das Werk von Wüthrich zu einem exemplarischen und herausragenden, doch bislang unterschätzten und zu wenig beachtetem Modellfall der Neuen Musik geworden. Kennen gelernt haben sich Wüthrich und Spahlinger 1972 beim Komponisten-Seminar in Boswil, rasch wurden gemeinsame Zielsetzungen und Sichtweisen erkannt. Spahlinger gibt Einblicke in seine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Werk von Wüthrich, die er selbst auch als eine Art Grundlagendarstellung dessen ansieht, was die sogenannte neue Musik nun wirklich zur Neuen Musik mit grossem Anfangsbuchstaben gemacht hat. Der folgende «Quergang» Spahlingers durch das Werk von Wüthrich basiert in seiner hier veröffentlichten redigierten Form auf einem Gespräch mit Bernd Künzig, das für die SWR2-Reihe «Composer’s composer» geführt und am 17. Mai 2010 gesendet wurde.

by moxi