Dissonance

Franz Furrer-Münch

(1924-2010)

Thomas Meyer

 

Franz Furrer-Münch

 

Er war einer der Stillen unter den Schweizer Komponisten und in dieser an Aussenseitern nicht  armen Szene wohl der wahre Aussenseiter: Franz Furrer-Münch, der am 18. Oktober 2010 verstorben ist, kurz nachdem ihn der Schweizerische Tonkünstlerverein geehrt und ihm (in Abwesenheit) am Tonkünstlerfest in Luzern den Kompositionspreis Marguerite Staehelin verliehen hatte.

 

Im Konzertleben begegnete man ihm in den letzten Jahren seltener. Wer mit ihm sprechen wollte, fuhr zu ihm heim nach Niederglatt, wurde dort von ihm und seiner Frau Cécile herzlich empfangen und dann hinauf in sein Arbeitszimmer geführt. Dorthin zog sich Furrer-Münch zum Komponieren zurück, bis zuletzt konsequent, um nicht nachzulassen, denn eigentlich rang er, wie er immer wieder sagte, der verbleibenden und verrinnenden Zeit sein Oeuvre ab. Der Gedanke an die Vergänglichkeit des Tuns war allgegenwärtig: Hölderlins Wenn in die Ferne geht der Menschen wohnend Leben vertonte Furrer-Münch in seinem späten Oboenkonzert für Heinz Holliger. Rilkes Wahre dich besser / wahre dich Wandrer / mit dem selber auch gehenden Weg wurde zu einer Art Lebensmotto. Seine Symphonischen Blätter zum Beispiel verstand er als «Work in progress», an dem er ständig weiterarbeitete.

 

Er wollte die Zeit nutzen. Franz Furrer-Münch, geboren am 2. März 1924 in Winterthur, hatte am Konservatorium Basel bei Rudolf  Moser Musiktheorie, Harmonielehre und Kontrapunkt studiert, sich dann aber einem Brotberuf zugewandt, der ihn, den Forschergeist, sicher auch erfüllte. 1969-89 arbeitete, lehrte und forschte er am Kartographischen Institut der ETH Zürich und zwischenzeitlich auch an der State University at Stonybrook, NY, im Bereich der Bildverarbeitung. Daneben besuchte er musikwissenschaftliche Vorlesungen bei Kurt von Fischer und Paul Müller-Zürich an der Universität Zürich, bildete sich am Studio für elektronische Musik in Freiburg i. Br. weiter und experimentierte reichlich, schuf graphische Partituren und neue Instrumente.

 

Allmählich erst fand er als Komponist zum eigenen Ton: Was sich an Innerlichkeit im Cellosolostück intarsia von 1972 angekündigt hatte, blühte spätestens mit den images sans cadres für Singstimme und Klarinettenensemble von 1982 auf. Mit schöner Regelmässigkeit entstand nun Werk um Werk, jedes anders und doch von seiner Handschrift geprägt. Befreundete Musiker spielten die Stücke, vor allem immer wieder das ensemble für neue musik zürich, das im Herbst 2009 zum Beispiel ein Blockflötenconcertino zusammen mit Maurice Steger uraufführte (ein Mitschnitt ist jüngst auf der Doppel-CD Grammont Sélection 3 erschienen).

 

«Ich war von Kind an ein ausgesprochen kreativer oder zumindest ein seh- und hörbedürftiger Mensch, ein Träumer, doch diese Anlagen, keinem nützlichen oder messbaren Begriff zu unterstellen, stiessen im Elternhaus nicht auf Gegenliebe», sagte er über sich selber. Aus dem Notenbuch eines Träumers (pdf, 3.7mb) überschrieb ich deshalb 1993 ein Portrait für die dissonance. Franz Furrer-Münch widersprach dem und verwies behutsam auf seine naturwissenschaftlichen Studien. Seine Partituren sind ganz licht und fein gearbeitet. Sie richten sich möglichst eindeutig an den Empfänger, den Musiker. Er überliess nichts dem Zufall. Aber Traum und Wissenschaftlichkeit müssen einander ja nicht widersprechen; in seinem Werk ergänzen sie sich aufs Schönste.

 

Manchmal kam es aber auch vor, dass dieser Träumer aufschreckte. Dann brachen die Gefühle mit aller Heftigkeit empor: So in seiner psalmodie für Sprechstimme und Orgel, mit der er 1979 brave Christen empörte, oder in dem sich geradezu verbeissenden Cellokonzert l’oiseau en papier – vier versuche, ikarus zu begreifen. Eine Unruhe drängte dann hervor, zuletzt noch in jenem späten Oboenkonzert. Es war dieser Wille, gegen die Zeit anzuschreiben. Wie viele andere endet dieses Stück mit einem «in die Ferne singen». Es behält es sich offen, den Weg weiter zu beschreiten, so wie es das Rilke-Zitat in der Canzona andeutet: «Erst wenn du ganz zu ihr übergingst, / kennt dich die Nacht.»

 

Siehe auch das Dossier Franz Furrer-Münch

 

Dieser Artikel erschien in DISSONANCE 112, Dezember 2010, S. 78.

by moxi